Aktuelle Kritik

Preisen den "Godfather of Klima": Jürgen Kirner und Bianca Bachmann als Gospelprediger in Ingolstadt. Preisen den "Godfather of Klima": Jürgen Kirner und Bianca Bachmann als Gospelprediger in Ingolstadt. Lorenz Erl

Ernüchternde Bilanz

"Die Rache der Chromosomen": Die Couplet AG in der Eventhalle

 

Ingolstadt (DK) Das Grauen kommt später. Es kommt dann, wenn man sich nicht mehr von den süßen Melodien der Couplet AG einlullen lässt und ein wenig genauer auf die Texte hört. Dann schält sich das grässliche Sein hinter dem heimeligen Schein heraus. Dabei machen Jürgen Kirner und seine Mitglieder der Couplet AG doch nur das, was wir alle irgendwie machen: Wir leben im Alltag. Aber Kirner, Bianca Bachmann, Bernhard Gruber und Berni Filser schauen diesem Alltag viel intensiver hinter die Fassade und machen sich im neuen Programm "Wir kommen! Die Rache der Chromosomen" ihren Reim darauf.

Der Auftritt in der Eventhalle am Freitagabend ist seit Wochen schon ausverkauft. Wieder steht bei ihnen der Mensch samt seiner ganzen mentalen Abgründe hinter dem Schein biedermeierlicher Sittsamkeit im Vordergrund. Der rote Faden im Bühnenprogramm ist das Kreuz mit der lieben Verwandtschaft, für die man oft gar nichts kann. "Nach der Zeugung bist du vom Chromosomenumtausch ausgeschlossen", attestiert Kirner folgerichtig und der Programmtitel "Wir kommen" kann auch als Drohung verstanden werden. Denn noch schlimmer kann es nur werden, wenn entweder Tante Hedwig kommt - oder Söder. Den designierten bayerischen Ministerpräsidenten haben sie ganz besonders in ihr Herz geschlossen. Immer wieder setzen sie treffsichere Hinterfotzigkeiten in seine Richtung ab, denn "Söder - der hat so was koreahaftes", spötteln sie.

Das Grauen hinter heimeliger Fassade beginnt aber schon bei den lieben gedankenlosen Mitmenschen. Umweltschutz, Gewinnsucht, Lobbyismus, Kaltherzigkeit und Geltungsgier packen die Mitglieder der Couplet AG vorzugsweise in so liebliche Melodien, wie sie von verschnulzten Gesangsduos gerne einem Millionenpublikum als Stadelromantik angeboten werden. "Die Spuren der Muren" interpretieren Kirner und Bachmann ebenso hingebungsvoll im Schunkeltakt, auch wenn Raubbau an der Natur und menschliche Kälte die Textzeilen gefrieren lassen. Ihre Analyse hinter dem einlullenden Schein ist so gnadenlos wie ein Fallbeil und so ernüchternd sachlich wie die Bilanz einer Versicherungsgesellschaft.

Zwischen den Szenen agiert Berni Filser als Holzbrettltätowierer, der allerlei kräftige Kurzreime fürs Publikum bereithält. Seinen Kollegen Bernhard Gruber möchte er zudem zu einer Umarmungstherapie mit Anna aus dem Publikum animieren. Filser muss sich viele Sprüche einfallen lassen, denn Kirner und Bachmann haben viele Garderobenwechsel. Als authentisch wirkendes kinderloses Landwirtsehepaar wollen sie beispielsweise lieber ein Kind aus Afrika adoptieren, denn das sei billiger als selbst gemachte Kinder. Als beseelte Gospelprediger erklären sie Donald Trump gar als Godfather of Klima, denn "er hat den Klimawandel abgeschafft".

Unnachahmlich ist Kirner in seiner Rolle als seniler Tattergreis im Morgenmantel, der sein Leben mit Flaschenpfand finanziert. "Haaam sie meine Flasche gsehn", krächzt er mit bibberndem "aaa" in der Wortmitte und beißendem Spott auf die CSU-Flaschensammler. Vor allem die Flasche mit Söders Geist darin möchte er haben, denn Seehofer würde ihm dafür das zwanzigfache Flaschenpfand zahlen. Nichts Menschliches ist ihnen in diesem Programm fremd, weder die Skrupellosigkeit von Lobbyisten noch die speziellen Triebe und Düfte von Menschen. "Ja weil der Mensch halt so a Mensch ist", singen sie. Wieder als Mischung aus Schunkelmelodie und galligem Text.

Es ist auch das Abschlusslied nach mehreren Zugaben, diesmal aber will das Publikum den Refrain mitsingen. Vielleicht hat es verstanden.

Additional Info

  • Quelle: Donaukurier
  • Autor: Lorenz Erl
  • Datum: 05.03.2018