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"Haaam Sie meine Flasche gesehn?", ruft Kirner als Rentner markerschütternd durch das Publikum "Haaam Sie meine Flasche gesehn?", ruft Kirner als Rentner markerschütternd durch das Publikum Budke

Ein Zapferl Söder gegen Sympathie

 Mit der Couplet-AG bot "Kultur im Winkel" das ganz große Musik-Kabarett

Schrobenhausen (SZ) Das war kaum anders zu erwarten: Die Couplet-AG, bekannt aus den Brettlspitzen des BR, sorgte am Freitagabend im Rahmen der Kleinkunstreihe "Kultur im Winkel" für einen ausverkauften Saal in Winkelhausen.

Unter dem Titel "Wir kommen - die Rache der Chromosomen" begeisterten die vier Künstler das Publikum restlos: Mit zuckersüßem Lächeln wurde der Finger auf die eitrigen Pickel der menschlichen Abgründe gelegt, um dann mit treffsicherer, musikalischer Politsatire dem Publikum die Lachtränen in die Augen zu treiben.

Hochprofessionell ist der Auftritt der Couplet-AG und gleichzeitig wirken die vier Mitglieder der Musik-Kabarett-Truppe so sympathisch-locker, dass es eigentlich keine Berührungsängste gibt. So wäre Monika aus dem Publikum, die das Glück hat, ganz vorn an der Bühne zu sitzen, durchaus bereit, dem Otto (Bernhard Gruber) und dem Gustl (Berni Filser) beim Umarmungstraining zu helfen. Gruber, Mitbegründer und musikalischer Kopf der Couplet-AG, spielt die Rolle des wortkargen Otto mit stoischer Gelassenheit. Das muss er auch, denn nur so kann er den lispelnden, fröhlich-naiven Gustl mit der putzigen Lockenfrisur davon abhalten, die Menschen im Publikum mit seinem Lötkolben zu tätowieren. Schließlich ist auf der Tante Anni ja kein Platz mehr für die Brandmalerei, wie der Gustl feststellt.

Da ist es ein Glück, dass es keinen Strom gibt für das Gerät. Dafür unterhält der Gustl die Leute gern mit kleinen Reimen, denn "Mein Geist der sprüht, wenn`s Kölberl glüht". Mit dieser kleinen Nebengeschichte unterhalten die zwei ebenso vortrefflich, wie sie Jürgen Kirner und Bianca Bachmann mit Akkordeon und Gitarre begleiten.

Kabarettistische Höchstleistungen bieten Kirner und Bachmann, die sich in ihren Nummern etwa als Bauernehepaar oder Alkoholiker-Liebschaft mit Wiener Dialekt perfekt ergänzen, aber auch in Solo-Auftritten glänzen. Fürchten muss man sich nicht, auch wenn der Titel des Programms "Wir kommen" zunächst fast nach einer Drohung klingt. In ihren Liedern wartet die Couplet-AG mit vielfältigen Beispielen auf, wie sich die "Rache der Chromosomen" äußert. Dabei machen die Kabarettisten vor kaum einem Beziehungsthema halt, greifen beinahe ganz nebenbei in gekonnter Polit-Satire die Themen auf, die die Gesellschaft beschäftigen und präsentieren das Ganze mit einem elegant-süffisanten Lächeln.

Da folgt ein Highlight auf das andere und das Publikum hat kaum Zeit, zwischen dem Lachen Luft zu schöpfen: Als Bauern-Ehepaar lästern Bachmann und Kirner über die Nachbarn und bringen allein in einer Szene Begriffe wie Biogas, Ammonium-verseuchten Boden, Asbest, Kunstdünger, Nachhaltigkeit und Adoption afrikanischer Kinder unter. Als stolzes Ehepaar besingen die Kabarettisten ihren Sohn: "Im RTL-Diktatoren-Camp ist unser Kevin jetzt der Champ, die Welt steht ihm jetzt offen, denn überall auf der Welt werden jetzt Diktatoren gewählt!"

Auch ungesunde Lebensweisen nehmen sie aufs Korn und lasten dies nicht nur dem Verbraucher, sondern der Pharma- und Lebensmittelindustrie an; "Dick ist schick und fett ist nett" oder "Stündlich einen Zucker-Joint und der Tag, der ist dein Freund" lauten die Empfehlungen.

Großartig das Solo von Kirner im lila-grünen Ballonseiden-Trainingsanzug, der mit russischem Akzent eine Liebeshymne auf seine Leber namens "Heidi" singt. Und ebenso großartig - auch wenn es manchen im Publikum vor Ekel erschauern lässt - wenn Bachmann als elegante Chansonsängerin ihre Leidenschaft kundtut: "Wollt ihr mich beglücken? Dann lasst mich Pickel drücken!" Ähnlich entzündlich geht es nach der Pause weiter mit dem "Elli, die Salmonelli"-Lied. Das ist mit Sicherheit ein Song, den mancher tagelang als Ohrwurm mit sich herumträgt. Immerhin ist der Martin, in dessen Darm sich die Elli munter vermehrt, dann ja nicht mehr allein, stellt Bachmann fest und so singt der ganze Saal mit: "Elli - eine von 100 Millionen!"

Gesteigert politisch wird es dann, wenn Kirner als Rentner mit Harz IV-Bedarf markerschütternd ruft: "Haaam Sie meine Flasche gesehn?" und Kanzlerin Merkel verdächtigt, mit ihrem Diesel durch Bayern zu fahren und alle Flaschen einzusammeln. Viel wichtiger ist seine spezielle Flasche aber, weil darin der Söder als Geist gefangen sei und Strauß habe die Flasche ganz fest zugestöpselt, damit der Söder nicht raus könne - und jetzt sei eben diese Flasche verschwunden.

Auch das Gesundheitssystem bleibt natürlich nicht unberücksichtigt, im Fokus stehen hier die Online-Praxen: "Wir kurieren alles, wir googeln dich gesund!" Potenzial, legendär zu werden, hat die Szene von Kirner als "allerletztem Sozialdemokrat im Ortsverein", der noch dazu Clubberer und 1860-Fan ist. In seinem Albtraum erscheint ihm Angela Merkel im Schlachthof mit dem Bolzenschussgerät und er überlegt, ob er nicht angesichts der Aussichtslosigkeit gleich selbst dorthin fahren soll. Am Ende steht das Resümee der Couplet-AG: "Weil der Mensch a so a Mensch ist, menschelt er halt vor sich hin."

Mit der Zugabe verteilen die Kabarettisten kleine Geschenke in weißer Plastikfolie mit einer ärztlichen Empfehlung: "Ein Zapferl Söder rektal ist multifunktional - Sie sind viel zu sympathisch hier in Winkelhausen, sie wollen doch sicher auch einmal ein Kotzbrocken sein!" Da bleibt zu hoffen, dass nicht zu viele diesem Rat nachkommen, sondern sich lieber wieder bestens gelaunt auf die nächste Kleinkunst-Veranstaltung der "Kultur im Winkel"-Reihe freuen.

Additional Info

  • Quelle: Schrobenhausener Zeitung
  • Autor: Heidrun Budke
  • Datum: 28.01.2019