Aktuelle Kritik

Bauernpaar Bianca Bachmann und Jürgen Kirner: In ihrer Ehe läuft nichts mehr, jetzt soll ausm Saustall a Sauna mit FKK-Bereich werden. Im Hintergrund Berni Filser als Gustl. Bauernpaar Bianca Bachmann und Jürgen Kirner: In ihrer Ehe läuft nichts mehr, jetzt soll ausm Saustall a Sauna mit FKK-Bereich werden. Im Hintergrund Berni Filser als Gustl. Sonja Hoffmann

Mit Humor gegen die Degeneration

Die Couplet AG bekommt in Schwindegg viel Lob für ihr neues Programm „Die Rache der Chromosomen“

Schwindegg – Es muss schon richtig schmerzhaft werden, damit einem bei der „Couplet AG“ das Lachen im Hals stecken bleibt. Wenn es um die peinliche Tante geht, die jeder irgendwo hat, fühlt sich ja selbst noch niemand angesprochen. Wenn sich die Hartz-Vier-Klischee-Degenerierten über den letzten Dreck an Würstln beschweren, den sie fressen müssen und sich selbst dabei wie Würstchen fühlen, lässt sich auch noch herzhaft lachen. Erst als es um den Flaschensammler geht, den Normalo-Rentner, der mit Pfand aufstocken muss, weil „in bundesdeutschen Tonnen manche Leckereien schlummern“, setzt erste Betroffenheit ein. Ganz zum Schluss wird dann aber auch dem letzten Besucher im Schwindegger Bürgerhaussaal klar, dass das neue Programm der Couplet AG mit dem Titel „Wir kommen – Die Rache der Chromosomen“ jeden Einzelnen im Blick hat. „Mir san Viecher und a Graus“ heißt es in dem Lied „Weil da Mensch“.

Es ist ein ambivalenter Abend zwischen Lachen und Mitklatschen auf der einen und viel Gesellschaftskritik auf der anderen Seite. Das Nachdenken kommt später, wenn man die Figuren und Zeilen, die Jürgen Kirner als Kopf der Truppe schreibt, sacken gelassen hat. Wenn einem klar wird, dass es eben nicht immer nur um die anderen geht. Dass die Politik sich nicht mehr um die kleinen Leute kümmert, sondern lieber um den „deutschen Lobbyisten“ – eine Hand wäscht eben die andere. Extrem-Seniorenreisen hilft dabei, die Rentenkassen zu entlasten und der kleine Kevin gewinnt das RTL Diktatoren Camp: Was hätte bei seiner Neigung zu Gewalt auch sonst aus ihm werden sollen? Ist ja eh gerade „in“ auf der Welt.

Auf diese Weise entlarvt die Couplet AG nicht nur die kleinen Lügen des Familien- und Ehealltags, sondern auch die großen unserer Gesellschaft. Trump hat übrigens den Klimawandel beendet – ist doch klar. Und die verstrahlten Findlinge aus der Rhön, die schafft der deutsche Lobbyist in den Iran, die haben Bedarf für Steinigungen. Am Ende gewinnt die nachdenkliche Note fast die Oberhand. „Auch beim Herrgott herrscht Verdruss, weil er sich seiner Kinder schämen muss“. Eine Schlussnote, die ankommt. Es sind nicht nur die anderen, sondern wir alle.

Was Jürgen Kirner in seine Texte und Figuren packt, vertont Bernhard Gruber in bayerischen Volksmusik-Sound. Mit seinem Akkordeon verleiht er den lustig-bitterbösen Liedern auf der Bühne die rechte Durchschlagskraft von hinterwäldlerisch bis melancholisch, von Ballermann bis Zirkuszelt. Mit der Gitarre, die von Lokalmatadorin Bianca Bachmann auch mal mit der Bierflasche zum Tönen gebracht wird, der Trommel oder der Flöte werden die Stücke lautmalerisch unterstützt – mit Muhen oder EKG-Gepiepe. Während sich Bianca Bachmann und Jürgen Kirner oft als Paar durch das Programm spielen und singen, ist es vor allem der Rahmen zwischen den Stücken, den Bernhard Gruber und Berni Filser als Otto und Gustl gestalten. Otto, der aufgrund seiner schweren Kindheit niemanden umarmen möchte, muss sich mit seinem Neffen Gustl, einem geistig zurückgebliebenen, aber gutmütigen Brettl-Tätowierer abplagen. Bayerisches Grantln und bayerische Herzlichkeit im Dienste der Intention.

Als Zugabe gibt’s noch den „Söder rektal“ – das Zapferl hilft zum Beispiel, wenn man nichts kann, aber trotzdem Chef von irgendwas werden will. Dass die vier mit Leidenschaft auf der Bühne stehen und ihre Satire unter die Leute bringen, kann man sehen. Obwohl das meiste von Jürgen Kirner getextet wird, dahinter stehen sie alle. Und Spaß macht es ja auch, so unverfroren alles rauszuhauen, was einen stört, politisch unkorrekt, entlarvend und mit derben Worten. Sympathisch, dass Bianca Bachmann da noch ein Lachanfall durchrutscht, als sie ganz zum Schluss „furzt“ singen soll. Klare Kante, klare Worte und trotzdem eine ganze Menge Humor, das kommt an. So ist die harsche Kritik an vielem, was uns jeden Tag begegnet, ohnehin am besten unter die Leute zu bringen.


Das sagen die Besucher: Wie war’s?

Hermine Folfer aus Schwindegg: „Besser hätte das neue Programm nicht sein können. Ich bin vor allem begeistert von den schauspielerischen Fähigkeiten des Quartetts, in welche unterschiedlichen Rollen sie auch schlüpfen. Das ist schon außergewöhnlich.“

Additional Info

  • Quelle: OVB
  • Autor: Sonja Hoffmann
  • Datum: 30.01.2018