Aktuelle Kritik

Kabarettist Thomas Freitag Kabarettist Thomas Freitag (Foto: Helmi Tischler-Venter)

Westerwälder Kabarettnacht wieder einmal spitze

Das kleine Oberelbert ist in puncto Kabarett ganz groß. Die jährliche Kabarettnacht beschert der Stelzenbachhalle regelmäßig zwei ausverkaufte Vorstellungen. Die Kleinkunstbühne Mons Tabor präsentiert in diesem Jahr drei bekannte Bühnengrößen: an beiden Abenden die Couplet-AG, dazu freitags, 11. März Routinier Thomas Freitag und samstags Finanz-Kabarettist Chin Meyer.

Oberelbert. Organisator Uli Schmidt nutzte die Veranstaltung, um an die Zuschauer zu appellieren, zur Wahl zu gehen und eine demokratische Partei zu wählen. Gedanken machte er sich auch, wie es wohl gerade seiner Mutter gehe ohne ihren Fernsehsessel, denn das Möbel diente als Requisite für die Show von Thomas Freitag. Zum Beispiel für Freitags exzellente Imitation des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki. Mit Schauspieltalent, verbalem Biss und über vierzig Jahren Bühnenerfahrung wusste der Kabarettist das Publikum mit den besten Ausschnitten aus seinem reichhaltigen Repertoire zu begeistern.

In seinem Fokus standen der bundesdeutsche Bürokratismus und die nervige Rentenversicherung, die in über 200 Briefen Nachweise aus dem Jahr 1972 verlangt und das Amt, „das die Gebühren für Müll einsammelt“, die GEZ. Im Rückblick auf seine nicht ganz selbstbestimmte Ausbildung zum Bankkaufmann stellte Freitag fest, dass damals die Gangster noch auf der anderen Seite des Bankschalters standen. Die großen Angriffsflächen der katholischen Kirche - Beichte, Jesuitenorden, Pädophilie, Verschwendungssucht und Päpste – geriet herzhaft unter satirischen Beschuss. Freitag verglich die Kirche mit RTLund zog das Resümee: „Früher hatten die Leute noch Respekt, heute sagt ein kleiner Junge angesichts eines Priesters in Soutane: ‚Guck mal, Mama, die Tunte da. Ist wieder Christopher Street Day?‘“

Der Künstler analysierte anschaulich: „Aufklärung tut Not. Und Bildung. Stattdessen machen wir Bibliotheken zu und leisten uns Betreuungsgeld für die, die öffentliche Bildung für ihr Kind nicht in Anspruch nehmen.“ Die Zukunftslösung ist der Kulturbus.

Politiker aller Couleur boten überdeutliche Zielscheiben für den Spott des kabarettistischen Altmeisters. Sein Kompendium „was Politikern peinlich ist“, ergab nur ein vierseitiges Buch. In einer brillanten Imitation des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt, konstatierte Freitag, das habe er nicht verdient, dass ein Flughafen nach ihm benannt wurde, von dem man nicht fliegen kann.

Da er auch bald in das Rentenalter komme, machte sich der Wortkünstler viele Gedanken um diese Altersgruppe. Wellness lehnt er ab, denn „wenn man älter wird, baumelt am Körper schon so viel, da muss die Seele nicht noch mitbaumeln.“ Eine grandiose Geschäftsidee hatte er mit weiteren Rentnern schon kreiert: einen Vogelhäuschen-Konzern.

Mit „Perlen für das Volk“ – satirischen Glücksperlen - von der Couplet-AG ging das Programm bayrisch-musikalisch weiter. Die Spezialität der Gruppe sind bissige Satire und hinterfotzige Couplets. (Das Couplet bezeichnet in der Musik ein mehrstrophiges witzig-zweideutiges, politisches oder satirisches Lied mit markantem Refrain.) Mit Pauke, Gitarre und Harmonika kamen die drei Männer mit Dame auf die Bühne marschiert. Die Instrumente wechselten, der Gesang blieb immer glasklar und eindringlich, die Lieder witzig und voller Überraschungen. Das „Osterfest Bavaria“ endete makaber mit einem „Leichenschmaus Bavaria“. Ein Plädoyer für die sofortige Einführung des Elternführerscheins mit dem Titel „Latte Macchiato-Mütter“ und das anschauliche Couplet von den Kindern vom Bofrost-Mann ernteten heftigen Applaus. Auch die Musiker machten sich um die vielen Senioren verdient mit der Elvira-Kuppel GmbH München. Deren Motto lautet: Sie kommen allein und sterben zu zwein! Das passende Couplet, mit Politikerfotos unterlegt, lautet „Nehmen’s an Alten!“ Auch ein neues Anlage-Modell ist die Beamtenpatenschaft, denn „ein guter Beamter schaut immer weg, wenn wo was los ist.“

Neues von Karl Valentin brachten die Bayern auf die Bühne: ein neu vertontes Couplet mit dem Refrain zum Mitsingen „So amüsiert sich jeder so gut er eben kann“. Publikumsbeteiligung war auch geplant beim Erlernen einer neuen Fremdsprache innerhalb von fünf Minuten. Als didaktische Hilfe lagen Zettel mit dem fremdsprachlichen Refrain auf den Stühlen: Tschingiding schnedredeng…

Die blonde, junge und superschlaue Jacky will Spielerfrau werden und warb für Spargelfritz, während der Rasso von der Inkasso mit seinem Besuch drohte. Ein Ärztepaar stellte fest: „Es gibt keine Gesunden, nur unzureichend Untersuchte.“ Ergo: Wir müssen operieren. Nicht operativ entfernen wollte die Sängerin den erotischen Bierbauch am Mann. Gesucht wurde die Rente: „Wenn Sie meine Rente sehen: nicht der Frau Merkel geben!“ Der Couplet-Refrain textete: „Wir wollen keine Riesterrente, wir wollen Riesters Rente ham.“

Als Zugaben bekamen das begeisterte Westerwälder Publikum noch das Verdienstorden-Lied, ein Mitsing-Gestanzel und den „Besuch im Tröpfelbad“ auf die Ohren.

Uli Schmidt kündigte an, dass man im nächsten Jahr wieder dem Nachwuchs eine Chance geben wolle. Vielleicht könne man neue Leute entdecken, so wie vor Jahren Urban Priol oder Max Uthoff, die, nachdem sie in Oberelbert aufgetreten waren, in die „Anstalt“ durften. htv

Additional Info

  • Quelle: Westerwald Kurier
  • Autor: Helmi Tischler-Venter
  • Datum: 12.03.2016